Surfen wir bald im Dunkeln?
Wer sich unvorbereitet am vergangenen Mittwoch, den 18. Januar, Informationen von der englischsprachigen Wikipedia-Seite holen wollte, dürfte im ersten Moment etwas überrascht gewesen sein. Statt der gewohnten Startseite sah der Besucher lediglich eine nahezu schwarze Seite mit dem Denkanstoß Imagine a World Without Free Knowledge (Stelle dir eine Welt ohne freies Wissen vor). Eine Welt ohne freies Wissen, ohne Wikipedia, der Seite, die pro Sekunde bis zu 60.000 Anfragen auf einen von 10 Millionen Artikel entgegennimmt – undenkbar.
Aber worum geht es bei dieser Aktion? Sie ist Teil eines Protestes, dem sich auch Internetriesen wie Google, Yahoo oder Twitter angeschlossen haben. Hintergrund sind zwei Gesetzestexte zur Bekämpfung der Internetpiraterie unter dem Namen Stop Online Piracy Act (SOPA) und PROTECT IP act (PIPA).
- SOPA: Der Gesetzesentwurf wurde vom Republikanischen Abgeordneten Lamar Smith dem Repräsentantenhaus vorgelegt und wird zur Zeit im Jusitzausschuss behandelt. Im Sinne dieses Gesetzes wäre nicht nur die Person strafbar, die das Urheberrecht verletzt, auch alle anderen, die in irgendeiner Weise auf die Seite verlinken, auf der die Urheberrechtsverletzung begangen wurde, könnten zur Verantwortung gezogen werden. Das heißt, dass auch Internetdienstleister, die ihren Service in Deutschland anbieten, allerdings ihren Sitz in den USA haben, verfolgt werden könnten und in der Folge plötzlich nicht mehr erreichbar wären.
- PIPA: Wurde vom demokratischen Senator Patrick Leahy eingebracht. Über seinen Entwurf wird am 24. Januar im Senat, dem zweiten Haus des US-Kongresses, abgestimmt. Es soll ermöglichen, Internetprovider dazu zu zwingen, Schurkenseiten [man kann sich fragen, wie weit eine Schurkenseite von der Definition eines Schurkenstaates entfernt ist] oder Hoster im Web unerreichbar zu machen.
Die Kritiker, zu denen eben auch Wikipedia gehört, befürchten, dass damit der Zensur im Internet Tür und Tor geöffent werden und "bedenken, dass das neue Gesetz gegen die Grundprinzipien des Internets verstoßen und die betroffenen Anbieter unverhältnismäßig belasten würde. Unter anderem wird die Definition der im Entwurf als "Schurkenseiten" bezeichneten Web-Angebote als sehr vage angesehen. Die Konzerne sind beunruhigt, da so theoretisch fast jede Web-Plattform Urheberrechtsverletzungen ermöglicht.". [SPIEGEL]
Auf Seiten der Unterstützer steht vor allem die Film- / Musikindustrie sowie große Medienkonzerne. Nicht ohne Grund: "Allein die Softwarebranche veranschlagt ihre Einbußen auf mehr als 50 Mrd. Dollar, die Filmindustrie bezifferte die entgangenen Einnahmen in ihrem jüngsten Jahresbericht mit 6,1 Mrd. Dollar, die Musikbranche spricht von 5 Mrd. Dollar" [TIMES] durch die Internetpiraterie. Selbst der dem Entwurf ablehnend gegenüberstehende Präsident Obama bleibt von der Krikit nicht aus. Der Chef des News-Corp-Medienimperiums Rupert Murdoch wetterte über Twitter, dass der Präsident der USA die Online-Piraten unterstütze. "Außerdem warf Murdoch dem Google-Konzern vor, bei Urheberrechtsverstößen im Internet führend zu sein. Unter anderem führte er als Beleg an, dass er bei einer Google-Suche nach dem Spielfilm „Mission: Impossible“ auch Webseiten gefunden habe, auf denen der neue Film kostenlos zu sehen sein soll. Google profitiere vom Anzeigenverkauf im Umfeld solcher Angebote, argumentierte Murdoch." [FOCUS]
Nach der heftigen Kritik, die den Politikern in den vergangen Tagen und schon vereinzelt zuvor entgegen geschwappt ist, hat eine Gruppe von Politikern beider großer Parteien als Alternative zu SOPA den Online Protection and Enforcement of Digital Trade Act (OPEN Act) vorgeschlagen, mit dem ebenfalls gegen Urheberrechtsverletzungen vorgegangen werden soll – allerdings ohne dabei die Freiheit des Internets zu gefährden.
Dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, ist klar. Schließlich ist die Macht von Konzernen wie Google oder Facebook mittlerweile zu groß, um sie zu ignorieren. Und dass man Erfolge im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen auch ohne SOPA und PIPA haben kann, zeigt das jüngste Beispiel: Abschaltung der Datenplattform Megaupload.com. Was wiederum zu Angriffen auf die Seiten des FBI und des Justizministeriums führte – ausgeführt von Hackern, die sich in eben dieser Freiheit des Internets verstecken.
Das Internet ist Teil des öffentlichen Lebens und somit eben kein rechtsfreier Raum – und Urheberrechtsverletzungen sind nunmal kein Kavaliersdelikt. Wie dagegen vorgegangen werden kann, muss natürlich im Einklang mit einer demokratischen Verfassung stehen – dass dagegen vorgegangen werden muss, ist selbstverständlich. Schließlich heißt es auch:
"Ich denke also bin Ich" [Descartes] und nicht "Ich kopiere also bin Ich" [ehemals Dr. K.-T. zu G.].
[STERN] | STERN.DE,Worum es beim Internetstreik geht, 18. Januar 2012, http://www.stern.de/digital/online/online-protest-gegen-gesetze-sopa-und-pipa-in-den-usa-worum-es-beim-internetstreik-geht-1775221.html |
[FTD] | FINANCEL TIMES DEUTSCHLAND, Stop Online Piracy Act US-Gesetz gegen Softwarepiraterie vor dem Aus, 16.01.2012, http://m.ftd.de/artikel/60155220.xml?v=2.0 |
[FOCUS] | FOCUS ONLINE, Protest gegen Zensurgesetz – Wikipedia schaltet US-Seite einen Tag ab, 17.01.2012, http://www.focus.de/digital/internet/tid-24808/protest-gegen-zensurgesetz-wikipedia-schaltet-us-seite-einen-tag-ab_aid_703146.html |