Identitäten im Netz – oder: vom Kirscheplotzer zu Ralph Kühnl
Vor ein paar Tagen las ich einen Tweet vom @kirscheplotzer, der mich hat stutzen lassen. Von wem? Na, von Ralph Kühnl halt. Zum einen ist er TV-Journalist beim Rhein-Neckar Fernsehen, zum anderen ist er auch einfach Ralph, der sich seit Jahren im Internet herumtreibt und wie ich fast jeden neuen Service austestet, darüber schreibt, aber auch seinen Alltag in Form von Tweets und Blogposts kommentiert.
Lange ging das gut und die unterschiedlichen Rollen – die ganze Person Ralph Kühnl und die des TV-Journalists - tummelten sich in einem einzigen Nachrichtenstrom auf Twitter. Jetzt nicht mehr. In einem Blogpost erläutert er seine Entscheidung, die Rolle des TV-Journalists aus seinen Twitter-Nachrichten und auch aus seinem Blog herauszulösen.
Da eine solche Separierung aus eigener Erfahrung nicht freiwillig vorgenommen wird, weil sie mit Aufwand und Risiken bei der Bedienung verbunden ist, wollte ich mehr über diesen Zug wissen, und habe ihm ein paar Fragen gestellt:
War es schleichend die schiere Anzahl der Anmerkungen und Fragen oder war es ein bestimmtes Ereignis, das Dich zu dieser Entscheidung geführt hat?
"Also, das war in der Tat eine "schleichende" Entscheidung, völlig ohne konkreten Anlass. Ich hab mir schon eine Weile Gedanken gemacht, wie ich das mit meiner "gespaltenen" Identität löse. Grundsätzlich war bzw. bin ich eigentlich der Meinung, dass die Netzidentität von der realen Identität nicht trennbar ist, deswegen bin ich in den letzten Jahren bei einem einzigen Account geblieben.
Inzwischen hat es sich aber ergeben, dass eine Menge Zuschauer unseres Senders und vor allem auch Kunden, für die ich Filme mache, twittern und über soziale Netzwerke Kontakte pflegen. (…) Die Art von Humor und Ironie, die sich z.B. bei Twitter in den vergangenen Jahren herausgebildet hat, versteht nicht jeder, der spontan mal in meine Timeline klickt."
Wie schätzt Du den Aufwand ein, bei jedem Post zu überlegen, den Content zu separieren oder auch in beiden Rollen zu posten?
„Ich denke schon, dass ich schnell rausbekomme, was wohin gehört. Zumal ja in obiger Philosophie alles, was "ralphkuehnl" ist, automatisch auch "kirscheplotzer" sein kann, aber eben nicht umgekehrt. Wobei ich nicht glaube, dass es die klassische, netzbasierte "kirscheplotzer"-Klientel in Hamburg, Berlin und München wirklich interessiert, dass ich mich journalistisch gerade mit dem Vorstandswechsel bei der BASF befasse.“
Wie wirst Du Deine multiplen digitalen Persönlichkeiten technisch lösen?
"Technisch löse ich das auf dem Mac mit Tweetdeck und auf dem iPhone mit Tweetings, weil ich da problemlos zwischen Accounts wechseln kann. Browserbasiert stehe ich seit jeher auf Seesmic."
Sehr spannend fand ich, was Ralph über die Benennungen der Accounts meint:
"… Also hab ich mich entschieden, den kirscheplotzer als "authentischen Lebensaccount" weiter zu führen (da bin ja dennoch identifizierbar) und alles Jobbige unter den Klarnamen zu packen. Als '@ralphkuehnl' bin ich der Fernseh- und Videomensch und will mich da zu meinen professionellen, journalistischen, TV- und Videothemen äußern. Damit können dann auch Kunden und Zuschauer jederzeit etwas anfangen. Insofern ist mein echter Name eigentlich eine Rolle und der Fakename meine echte Identität. Verwirrend, oder?"
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass es zum einen Aufwand ist, sich bei jeder Nachricht, die man (weiter-)verbreiten möchte zu überlegen, für welchen Account diese geeignet ist, zum anderen birgt diese Aufteilung immer das Risiko, dass man dann doch einmal die falsche Identität erwischt. Alles schon passiert.
Fazit: Jeder, der im Internet nicht nur konsumiert, sondern auch produziert, hat eine persönliche Policy, was er wann und wie veröffentlicht. Sich diese bewusst zu machen und einzuhalten ist schon anstrengend genug und wird von vielen sträflich vernachlässigt. Wenn man aber zudem noch vermehrt in der Öffentlichkeit steht, muss man sich erst recht Gedanken über seine ‚Empfänger’ und deren Erwartungshaltung machen.
Einen Lesetip habe ich noch: Ralph ist ein Digital Resident, er lebt im Netz und besucht es nicht nur. Nach alter Lesart meinetwegen auch ein "Digital Immigrant", weil er die Entwicklung des heutigen Internets miterlebt hat und nicht hineingeboren wurde. Wie es am anderen Ende dieser Nutzungsarten aussieht, hat Gunter Dueck (Ja, ich bin mittlerweile Fan von ihm) in seinem Artikel geschrieben, wo er die im analogen ‚Land’ Zurückgebliebenen als "Digital Exiles" bezeichnet. Gewohnt überzeichnet, aber wahr.
Als Nachtrag zu meinem Nachbetrachtungs-Post zur re:publica sei dieser 3-Minütige Radio-Beitrag zum Vortrag, den er dort gehalten hat, ans Herz gelegt.