Feierabend im Social Web
Online-Plattformen haben rund um die Uhr geöffnet, wenn nichts dazwischen kommt. Das liegt in der Natur der zugrundeliegenden Technik. Das ist großartig, ermöglicht es doch Interaktion rund um die Uhr.
Da gibt es Interaktion mit Systemen (wenn einer seinen Kontostand abfragt oder auf seiner virtuellen Farm eine Ernte eintreibt) und es gibt die mit anderen Menschen. Meist sind es andere private Internetbenutzer, mit denen man interagiert wie z. B. auf Facebook oder per Mail. Aber immer häufiger sind es Unternehmen oder genauer: Mitarbeiter von Unternehmen, denen man etwas mitzuteilen hat oder denen Fragen gestellt werden. Und hier wird der Segen der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit zum Fluch. Was dem privaten User zum Spaß und Nutzen gereicht - weshalb er auch gern mal zu schrägen Uhrzeiten im Web unterwegs ist - stellt für den Mitarbeiter eines Unternehmens vor allem erst mal eines dar: Arbeit.
Das ist zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten von Unternehmen grundsätzlich kein Problem, aber wehe der Feierabend naht. Dann trifft eine Erwartungshaltung, die aus den Kommunikationsgewohnheiten mit Freunden und Bekannten herrührt, auf wirtschaftliche Realität. Denn auf einmal stellen User fest, dass das Gegenüber in Person eines Angestellten nun z. B. von 20 bis 8 h nicht mehr reagieren wird. Das kennt man von seinen privaten Kontakten nicht. Hierzu habe ich in Diskussionen, die mir den Blutdruck unter die Decke haben schießen lassen, immer wieder gehört, dass doch bitte ein Groß-Unternehmen auch rund um die Uhr aktiv sein müsse, wenn es schon am Social Web teilnimmt. Hallo? Das ist ein wirtschafstweltferner Kurzschluss.
Von Unternehmen wird vor dem Hintergrund des Social Webs regelmäßig eingefordert, doch bitte menschlicher, ansprechbarer, greifbarer zu werden. Dem stimme ich zu. Dann aber muss es auch in Ordnung sein, dass die Menschen, die dahinter stecken, auch einmal Feierabend haben. Ja, mag man sagen, aber man kann ja Schichtbetrieb einrichten und so eine 24/7-Erreichbarkeit sicherstellen. Da ist zweifellos richtig. Aber es muss sich für das Unternehmen auch rechnen. Denn gerade die Ressource Mensch, die hierfür benötigt wird, ist meist die teuerste von allen. Und selbst, wenn eine Wirtschaftlichkeit dieses Schritts erwartet wird und ein Unternehmen sich auf den Weg macht, sind bis zu diesem Punkt noch Hürden wie Budgetierungen, ggf. Rekrutierung oder die Einigung mit einem eventuell vorhandenen Betriebsrat zu erreichen. In der Diskussion um Reaktionszeiten und Feierabend im Social Web muss mehr Realitätsnähe einkehren. Darum:
Liebe User: Begrüßt die Möglichkeit, Unternehmen auch im Social Web zu erreichen und euch mit ihnen austauschen zu können. Aber akzeptiert auch, dass dort Menschen agieren, die eben auch einmal Feierabend haben. Allein die Teilnahme an Aktivitäten auf 24/7-Plattform bedeutet nicht, dass diese auch rund um die Uhr bespielt wird. Wenn es sich rechnet, wird das Unternehmen es auch tun. Es braucht alles seine Zeit.
Liebe Unternehmen: Lasst euch nicht stressen, unternehmt erste Schritte, tretet in den Dialog und seid mutig. Seid dabei klar in der Erwartungshaltung, die eure Kunden haben können. Kommuniziert die Zeiten, zu denen ihr erreichbar seid und reagiert, und seid natürlich klar in der Sache. Steigern lässt sich der Umfang der Interaktion immer - und selbst die Reduktion wird akzeptiert, wenn sie offen und gut begründet wird.