Behavior Patterns – Ihre Kunden sind auch nur Menschen
Im dritten Teil unseres Rückblickes zum Frühjahrsevent machen wir mit Claudia Fischer, Consultant bei MASSIVE ART einen Ausflug in die Verhaltensforschung.
Erkenntnisse über neurowissenschaftliche Wirkmechanismen sind in der digitalen Welt hoch relevant. Denn viele unterbewusste Kaufentscheidungen basieren auf bestimmten Verhaltensmustern. Sind Ihnen die Denkweisen Ihrer Zielgruppe bekannt, können Sie Design, Content und Call-to-Action-Trigger in Ihrem Online-Auftritt gezielter einsetzen.
Action vs. Think
Die Wissenschaft geht davon aus, dass das menschliche Denken aus zwei verschiedenen Denkmodi besteht (Abbildung 1):
- System 1: Das unbewusste, schnelle Denken – führt zu unmittelbaren Entscheidungen (ACTION). Dieses System reagiert automatisch und ohne mentale Anstrengung.
Beispiel aus dem Alltag: Autofahren auf einer leeren Straße. Oder auch: Produkte beim Internetsurfen in einen Online-Warenkorb legen und diese dann bestellen. Das sind gelernte Prozesse.
- System 2: Das bewusste, langsame (Nach)Denken (THINK).
Beispiel aus dem Alltag: Konversation in einer Fremdsprache, die man nicht fließend beherrscht.
Intuitive Benutzerführung
Eine weitere Tatsache spricht dafür, dass unser Gehirn aus dem Unterbewusstsein agiert: Die Wissenschaft geht davon aus, dass fünfundneunzig Prozent aller Entscheidungen unterbewusst getroffen werden.
Doch Vorsicht: System 1 ist fehleranfällig! Kognitive Verzerrungen führen zu Denkfehlern, die zu Verhaltensmustern werden – und lassen sich wie beschrieben steuern. Wird die „intuitive Nutzerführung“ missbräuchlich eingesetzt, spricht man von „dark patterns“. Dabei macht sich ein Unternehmen das gelernte Verhaltensmuster zunutze und leitet den Kunden in die Irre.
Nutzen Sie Patterns, aber richtig
Spielen Sie Ihre Kunden nicht aus! Denn das wirkt sich negativ auf die Glaubwürdigkeit, das Image und das Vertrauen in Ihre Marke aus. Überzeugen Sie stattdessen mit Ihren Inhalten und legen Sie Wert ein benutzerfreundliches Design.
Allerdings können Sie mit dem Wissen um bestimmte Verhaltensmuster Optimierungen an Ihrem Online-Auftritt vornehmen. Das gibt Ihren Kunden Orientierung und diese "Muster" bestärken das Kaufverhalten. Dabei sind auch ein paar kleine Tricks erlaubt …
1. Die Angst vor Güterknappheit
Sie kennen das: Beim Online-Shopping wird Ihnen angezeigt, dass das Shirt, das Sie gerade ins Auge gefasst haben, fast vergriffen ist. Schon steigt die Panik in uns und das Bedürfnis, das Teil JETZT zu kaufen. Knappe Güter sind wertvoller für uns. Denn wir besitzen eine Grundangst, dass wir eine bestimmte Gelegenheit verpassen könnten.
Davon können Sie profitieren, indem Sie in Ihrem Online-Shop beispielsweise den aktuellen Lagerstand der jeweiligen Produkte angeben.
Wie Abbildung 2 zeigt, reicht ein einfacher Hinweis, um dem Nutzer die Güterknappheit klar zu machen.
Booking.com ist in der Kommunikation der Verfügbarkeit etwas aggressiver (Abbildung 3): "Letzte Chance! Sehr gefragt – nur noch 1 verfügbar!" Die Echtheit dieser Meldungen wird vom Nutzer eventuell in Frage gestellt. Zudem wird der Interessent unter Druck gesetzt, nicht jeder Nutzer mag das.
2. Die Reziprozitätsregel
Ein schwieriges Wort, einfach erklärt: Wir wollen nicht in der Schuld unserer Mitmenschen stehen. Materialproben und Gratismuster sind zwar Geschenke an Kunden und sollen zu einer Kaufentscheidung führen, doch der Kunde empfindet dabei neben Dankbarkeit auch eine Art Schuldbewusstsein. Oder anders formuliert: Das Bedürfnis, für etwas Erhaltenes eine Gegenleistung zu erbringen. Überzeugt die Materialprobe noch dazu, ist der Interessierte nicht mehr weit vom Kauf entfernt.
3. Autoritäten überzeugen
Wir neigen dazu, uns den Anweisungen von Autoritäten zu beugen. Ein bekanntes, wenn auch extremes Beispiel ist das Milgram Experiment von 1961. Der Psychologe Stanley Milgram testete anhand von Probanden, wie hoch die Bereitschaft ist, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn diese im Wiederspruch zum eigenen Gewissen stehen.
Jedes Unternehmen hat für die unterschiedlichsten Bereiche eigene Experten. Dieses Expertenwissen muss nicht nur in den Unternehmen bleiben, sondern kann auch kommuniziert werden. In der Werbung wird häufig mit Testimonials gearbeitet, die eine bestimmte Expertise ausweisen und vom Produkt überzeugen sollen.
Beispiel: Das Haarwuchsmittel Alpecin lässt Dr. Klenk, den Laborchef der Dr. Wolff-Forschung für ihr Produkt sprechen.
4. Die Angst, etwas zu verlieren
Wir wollen verhindern, dass uns genommen wird, was wir bereits besitzen und schätzen. Diesem sensiblen Thema sollte man sich vorsichtig nähern. Schüren Sie keine Angst, sondern machen Sie darauf aufmerksam, was Kunden entgeht, wenn diese Ihr Produkt nicht kaufen.
Beispiel: Eventim.de erklärt beim Kauf von Konzerttickets, warum eine Ticketversicherung Sinn macht: "An einem Event nicht teilnehmen zu können, ist ärgerlich. Mit der Tickeversicherung bleiben Sie nicht auf den Kosten sitzen."
5. Vergleiche machen Produkte und Dienstleistungen greifbarer
Unbekanntes wird verständlich, wenn Sie es mit etwas vergleichen, das allgemein bekannt ist. Stellen Sie Gewicht, Größe und Kosten einem gängigen Vergleichsgegenstand gegenüber. Damit geben Sie Ihrem Kunden Orientierung. Das Unternehmen "bellroy" zeigt, wie es geht (Abbildung 4). Auf der Website des Taschenherstellers „bellroy" kann sich der Kunde ein Bild davon machen, wie eine gefüllte "bellroy"-Geldtasche im Gegensatz zu einer herkömmlichen Börse aussieht.
6. Die Tendenz zur Mitte
Ein Experiment an der University of Chester beweist: Wir streben die Mittelmäßigkeit an. Beim Center-Stage Effect wurden Probanden fünf identische Objekte vorgelegt. Die Entscheidung fiel deutlich öfter auf die mittleren Objekte als auf äußere. Der Center-Stage Effect zeigt, dass wir uns mit mittig platzierten Produkten am wohlsten fühlen. Das lässt uns diese eher auswählen und kaufen.
Die Qual der großen Auswahl
Wir Menschen sind nicht immer ganz einfach zu verstehen. So gibt es ein weiteres Phänomen, dass unser Kaufverhalten beeinflusst:
Paradox of Choice: Eine große Auswahl ist natürlich toll – aber nicht immer zielführend. So mag die Anziehungskraft im ersten Moment groß sein, kann aber demotivieren. Denn manche Interessenten haben Angst davor, sich bei einer zu großen Auswahl falsch zu entscheiden.
Die Lösung: Heben Sie Produkte hervor und empfehlen Sie diese. Führen Sie „Bestseller“ an und bieten Sie die Möglichkeit, Produkte zu sortieren und zu vergleichen.
Vom Pattern zum Konzept
- Wählen Sie ein passendes Pattern: Nicht immer ist jedes der erwähnten Pattern sinnvoll.
Beispiel: Eine Verknappung des Angebots an Lizenzen für eine Software wäre wohl nicht zielführend („Nur noch 7 Lizenzen verfügbar!)“. Allerdings könnte die Einführung einer dritten, hochpreisigen Platin Lizenz die Verkäufe der nun mittelpreisigen Gold Lizenz ankurbeln (Center Stage Effect). - Erarbeiten Sie Ideen: Evaluieren Sie in einem Brainstorming mehrere Möglichkeiten, wie das gewählte Pattern umgesetzt werden könnte.
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Erstellen Sie ein Konzept: Achten Sie neben Design und Text auch auf eine saubere technische Umsetzung.
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Testen, Testen, Testen: Messen Sie die Auswirkungen Ihrer Optimierungen und ziehen Sie aus den Ergebnissen die richtigen Schlüsse.