Accessibility & Disability - Ein Gespräch mit dem Accessibility Experten Heinz
Hallo Heinz. Vielen Dank, dass wir uns gemeinsam über das Thema Webzugänglichkeit unterhalten. Starten wir mit einer kurzen Vorstellung deiner Person?
Ich bin Heinz, bin 53 Jahre alt und lebe seit 3 Jahren in Kärnten. Aufgewachsen und sozialisiert wurde ich in Osttirol. Ich bin im Zuge meines Betriebswirtschaftsstudiums durch eine Krankheit erblindet. Ich bin diplomierter Mediator, Supervisor und Erwachsenenbildner. Ich arbeite als Projektleiter für Schulungs- und Sensibilisierungsprogramme im Bereich Inklusion und chancengleiche Teilhabe angenommen. Ergänzend dazu bin ich als Referent tätig und berate und begleite Projekte im Bereich Accessibility und Disability. Mobil bin ich vor allem auch durch meinen Blindenführhund „Netty“, die ich mir selbst ausgebildet habe. Zu meinen Hobbies gehören Wandern, Lesen (vor allem Hörbücher), alles rund um unser Haus und seit 3 Jahren spiele ich Steirische Harmonika.
Das Bewusstsein rund um das Thema “Web-Zugänglichkeit” bzw. “Digitale Barrierefreiheit” ist noch recht zurückhaltend. Könntest du uns mit ein paar Zahlen die Wichtigkeit erläutern?
Macht man die Angebote so zugänglich, dass man sie z.B. ohne Lesebrille nutzen kann, so hilft man damit sehr vielen Menschen indem sie keine Brille suchen müssen und erspart ihnen die Peinlichkeit sich „Outen“ zu müssen.
Könntest du uns etwas mehr über deine digitalen Erfahrungen berichten? Was würdest du sagen - wie viel Prozent der Websites oder digitalen Systeme, wie z.B. Onlineshops, Online Banking, etc., die du nutzt oder nutzen möchtest, sind nicht barrierefrei?
Ich kann es in Zahlen nicht festmachen. Meiner Einschätzung nach ist es ein niedriger einstelliger Prozentsatz der Webseiten, die grundlegend barrierefrei gestaltet sind - nutzen möchte ich sicher mehr! Ich beschränke mich im Alltag auf die Systeme und Webangebote, die für mich auch bedienbar sind. In vielen Bereichen gibt es mehr oder auch weniger gute Alternativen. Für wichtige Anwendungen lerne ich Strategien, wie ich mit den Barrieren umgehen kann. Im Notfall brauche ich die Hilfe von anderen Menschen.
Du erwähnst, dass viele Webangebote für dich nicht bedienbar sind. Für den digitalen Bereich gesprochen - was sind für dich die häufigsten Stolpersteine bzw. Probleme bei der Verwendung von Websites, Apps, etc. Könntest du uns ein paar Beispiele geben?
Die größten Probleme sind, dass die Angebote rein grafisch aufgebaut sind, d.h., dass die Hilfssoftware keinen Zugriff auf die Informationen haben. Wo Sehende drauflos tippen, ist für mich Nichts vorhanden, das ich antippen bzw. anklicken könnte.
Die Angebote sind oft zu unübersichtlich und mit unnötigen Informationen überladen. Wenn es dann in den Servicebereich geht, funktionieren die Angebote mit den Hilfstechnologien nicht. Ob Bestellformulare, Online-Konfiguratoren, Formulare oder Online-Shops – an irgendeiner Stelle komme ich nicht weiter und muss abbrechen.
Anmeldungen zu Newsletter etc.
Auch die Anmeldung zu Newslettern ist problematisch. Die Identifizierung der Captures ist in den meisten Fällen für mich fast unmöglich. Dadurch kann ich z.B. bei bestimmten E-Mail Anbietern selbstständig kein Mailkonto einrichten. Im Sicherheitsbereich von Zahlungsanbietern scheitere ich aus dem selben Grund. Oft sind hier auch die Eingaben, aus Sicherheitsgründen, zeitlich durch einen Timer beschränkt. Das ist im Sinne der Webzugänglichkeit auch schwer bis nicht handlebar.
Ganz unmöglich sind Online-Angebote von Zeitungen.. Diese sind überladen und schlecht bedienbar, sprich Unmöglich für Menschen mit Sehbehinderung, dieses Angebot zu nutzen. Hier gibt es nur wenige, deren Angebote gut bedienbar sind.
Hier gibt es offensichtlich noch sehr viel Handlungsbedarf. Was denkst du, wieso entscheiden sich immer noch so viele Unternehmen aktiv gegen barrierefreie digitale Systeme?
Ich denke der Hauptgrund ist die Unwissenheit über die Notwendigkeit der Barrierefreiheit bzw. der Web-Zugänglichkeit. Viele wissen nicht, was das ist und noch viel weniger, wie man das umsetzt.
Dann liegt es an der Unfähigkeit und Ignoranz von den „Machern“. Viele fühlen sich berufen, Online-Angebote zu gestalten. Dabei wissen sie in sehr, sehr vielen Fällen nicht über die Grundlagen der Web-Accessibility Bescheid.
Weiters, fehlt oft auch die Empathie, sich in die Situation anderer User zu versetzen. Wie die meisten Menschen sind auch UnternehmerInnen hauptsächlich optisch orientiert. Schön ist wichtiger als praktikabel. Dadurch sind die Angebote auch für Menschen ohne Behinderung nicht wirklich gut nutzbar. Mir fällt da ein Vergleich mit der Mode ein. Es soll toll aussehen – ob die Kleidung bequem, leicht zu pflegen und funktionell ist, wird weniger berücksichtigt. Solche Kleidung wird dann aber auch wenig getragen.
Barrierefreiheit ist dem Mythos unterworfen, dass das immer teuer ist. Es wird als Zusatzaufwand gesehen, der wenig bringt. Dabei geht es um die Grundkonzeption. Wird Barrierefreiheit von Beginn an mitgedacht, wird die Umsetzung des gesamten Projektes eher leichter und kostengünstiger und das Ergebnis für alle User um Vieles besser.
Ein Beispiel aus der Baubranche: Wird der Zugang für Sehbehinderte und Gehbehinderte Menschen von vornherein mitgeplant, ist dies Teil des Gesamtkonzepts und kostet Nichts mehr. Müssen danach Lifte eingebaut werden, Stufen weggerissen und kompliziert Markierungen angebracht werden, wird es teuer, ist oft hässlich und bleibt eine zweitklassige Lösung.
Wie ist die aktuelle Gesetzeslage in Österreich zum Thema Barrierefreiheit?
Alle Infos in unserem Blog "Ist Ihre Website Barrierefrei"
Heinz, wie sieht die perfekte, zugängliche digitale Welt für dich aus?
Ich wünsche mir eine Welt, an der auch die Menschen mit ihren unterschiedlichsten Behinderungen problemlos teilnehmen können. Dass die Angebote, die für andere selbstverständlich sind, auch für mich nutzbar sind. Es wird immer irgendwelche Grenzen geben. Jeder Mensch unterliegt bestimmten Einschränkungen. Ich wünsche mir aber eine Gesellschaft, an der ich in den wichtigsten Punkten wie Verwaltung, Bankwesen, Informationsangebote, Gesundheit und Wirtschaftsleben chancengleich teilnehmen kann.